- tibetische Kunst
- tibetische Kunst,die Kunst des tibetanischen Hochlandes und der daran angrenzenden Regionen des Himalajagebietes. Zu den frühesten Zeugnissen aus vorbuddhistischer Zeit gehören ringförmige, bisweilen dreieckige Bronzeamulette sowie Tierfiguren und Ringfibeln, die Verbindungen zum Tierstil der Steppenkunst nahe legen, des Weiteren Megalithe, Gräber und Steinkreise, deren Fundstätten hauptsächlich in West- und Zentraltibet liegen.Das südtibetanische Tal des Yarlung Zangbo Jiang (Tsangpo) beherbergt die Königsgräber der nach dem Gebiet benannten Yarlungdynastie. Die erste quellenkundlich erfassbare Ausformung tibetanischen Kunstschaffens erfolgte mit der Gründung des tibetanischen Großreiches (etwa 620-842) unter König Srongtsan Gampo (etwa 620-649) und dem hierdurch bedingten regen kulturellen Austausch mit den Nachbarvölkern als Träger indischer, chinesischer wie zentralasiatischer Kunstströmungen. Architektonische Spiegelbilder dieser Entwicklung sind - neben einer allgemeinen einsetzenden Bautätigkeit - der unter Srongtsan Gampo begonnene Bau des berühmten Jokhang-Tempels von Lhasa sowie das um 775 unter König Trisrong Detsen (755-797) gegründete erste buddhistische Kloster Samye.Nach den um 842 einsetzenden politischen Wirren konnte sich buddhistisch-religiöses wie künstlerisches Leben nur in den Randgebieten halten: im westtibetischen Königreich von Guge, das enge Beziehungen zum benachbarten Kaschmir unterhielt, wie auch in Osttibet mit seinem Zentrum in Derge, von wo aus Beziehungen zu China (Tangzeit) bestanden. Erst die seit Mitte des 10. Jahrhunderts einsetzende »Zweite Verbreitung der Lehre«, die in der Folgezeit zu einer buddhistischen Renaissance führte, brachte neue Impulse. Richtungweisend war hierbei das Wirken des Gelehrten und Künstlers Rinchen Sangpo (958-1055), der mit verschiedenen Klostergründungen in Westtibet in Zusammenhang steht.Die Wandfresken der Klöster Alchi (Ladakh), Tabo (Spiti), Tsaparang und Tholing (Westtibet) geben Zeugnis hoher künstlerischer Fertigkeit sowie der Symbiose kaschmirisch-westtibetischer Kunststile, die ihrerseits neben Einflüssen der zentralasiatischen Kunst Stilformen der hellenistisch geprägten Gandhara- wie der ostindischen Pala-Kunst in sich bergen. Für Süd- und Zentraltibet war v. a. der über Nepal einfließende Kunststil der indischen Pala-Sena-Zeit von Bedeutung. Zeugnisse dieser künstlerischen Tätigkeit sind u. a. die südtibetanischen Klöster von Sakya und Gyangzê.Der rege geistig-kulturelle Austausch mit dem mongolischen Hof und der mongolischen Yuandynastie der Folgezeit (13./14. Jahrhundert) brachte u. a. neue architektonische Formgebungen hervor, die von chinesischen Stilelementen beeinflusst sind. Ab dem Ende des l4. Jahrhunderts bildeten sich in Tibet in der Thangkamalerei (Thangka) eigene Stile auch lokaler Prägung heraus. In der Plastik konnte sich die Tradition Nepals bis in die jüngste Zeit halten. Ein wichtiger Förderer der Kunst war der »große 5.« Dalai-Lama, Lobsang Gyatso (* 1617, ✝ 1682), der aus Nepal Handwerker, Erzgießer und Goldschmiede nach Lhasa berief, wo sie u. a. an der Erweiterung des »Potala« beteiligt waren.Die Ikonographie der tibetischen Kunst umfasst innerhalb des dargestellten Pantheons des Lamaismus eine Fülle von Gestalten, die hierarch. Systeme bilden und in symmetrischen Anordnungen, jedoch auch als einzelne Figuren gezeigt werden. Jeder tibetanische Gott kann zwei Aspekte (Erscheinungsformen) haben: eine »friedliche« (gekennzeichnet durch die Farbe Weiß) und eine »schreckliche« (gekennzeichnet durch Rot oder Dunkelblau). In friedlicher Gestalt erscheinen Buddha (Shakyamuni), die acht großen Bodhisattvas (v. a. Avalokiteshvara mit elf Köpfen und acht oder tausend Armen) und die fünf Tathagatas (Weise) oder Jainas (Siegreiche) als Buddhas der vier Kardinalpunkte und der Mitte des Mandala, die Lamas oder die 84 Mahasiddas (Vollendete), meist als Asketen dargestellt. In Furcht erregender Gestalt erscheinen im Allgemeinen die Schützer der heiligen Lehre (Dharmapala) als erzürnte Götter (z. B. Mahakala, Yamantaka), die 58 rasenden Gottheiten (darunter 28 Dakini mit Tierköpfen), die dem Menschen in dem Zwischenzustand nach dem Tod (Bar-do) erscheinen. Die Darstellung der geschlechtlichen Vereinigung männlicher und weiblicher Gottheiten symbolisiert den Gedanken der Polarität und ihrer Aufhebung.Die Kunst der Bon-Religion (bisher kaum erforscht) orientiert sich seit dem Erstarken des Buddhismus in hohem Maße an der buddhistischen Formensprache, wobei westtibetisch-zentralasiatische Stilelemente vorherrschen.Neben dem sakralen Bereich konnte sich in Tibet auch eine reichhaltige und lebendige Volkskunst entwickeln, die in den Gegenständen des täglichen Lebens zum Ausdruck kommt. Für das kulturelle Leben Tibets stellt das Jahr 1959 eine Zäsur dar. Während außerhalb Tibets v. a. das traditionelle Erbe bewahrt und weitergepflegt wird, versuchen die jungen Künstler der Autonomen Region Tibet auch zu neuen, v.a. an westlicher Kunst orientierten Formen zu finden.D.-I. Lauf: Eine Ikonographie des tibet. Buddhismus (Graz 1979);Die Götter des Himalaya. Buddhist. Kunst Tibets, bearb. v. G.-W. Essen u. a., Ausst.-Kat., 2 Bde. (1989);Tibet. Thangka-Malerei, hg. v. I. M. Zacke (Wien 1992);A history of Tibetan painting. The great Tibetan painters and their traditions, bearb. v. D. P. Jackson (Wien 1996);
Universal-Lexikon. 2012.